Udo Rotenberg: In
einem Interview zu Ihrem Film „Finsterworld“ las ich, dass Sie nach einem
längeren Aufenthalt im Ausland (unter anderem
in Afrika) Deutschland anders empfunden haben. Um in filmtechnischer
Hinsicht zu fragen: entstand so ein differenzierterer Blick, durchschaute man
die Dinge dadurch besser?
Frauke Finsterwalder: Ich denke, Jeder, der längere Zeit außerhalb
Deutschlands lebt, kennt diesen Blick. Da ich in Deutschland Freunde und
Verwandte habe, kam ich regelmäßig hierher und begann die Dinge, die ich bisher
als Normalität empfand, zu hinterfragen – etwas, was man sonst kaum macht, da
man sonst wahnsinnig werden würde. Ich wollte in meinem Film aber weder
verurteilen, noch verallgemeinern, sondern einfach nur beobachten.
Udo Rotenberg: Im
Presseheft fand ich auch den Satz über Ihren Film, dass dieser „ganz sicher
kein Realismus“ wäre. Ich empfand ihn genau umgekehrt als besonders
realistisch, mehr im Sinn eines Michelangelo Antonioni-Films, den sie in den
Worten der Dokumentarfilmerin Franziska Feldenhoven (Sandra Hüller) im Film erwähnen. Sie bezeichnet dessen Film
„L’eclisse“ (Liebe 1962) als ihr
Vorbild, interpretiert ihn gegenüber ihrem Lebensgefährten Tom (Ronald Zehrfeld) aber falsch. Sie meint
resignierend, die beiden Protagonisten kämen nicht zusammen, weil sie sich
nicht liebten. Tatsächlich haben sie Gefühle füreinander, sind aber nicht in
der Lage, sie zu leben - typisch für Antonioni, dessen Filme sich mit der
zunehmenden sozialen Entfremdung und einem wachsenden Hedonismus beschäftigten.
Auf die Frage, warum er (seit
„L’avventura“ (Die mit der Liebe spielen“ (1960)) seine Filme unter schönen
und wohlhabenden Menschen spielen lässt, antwortete er sinngemäß, dass er damit
den Blick, unbelastet von den alltäglichen Problemen, auf das Wesentliche
konzentrieren wollte – daran hat mich Ihr Film erinnert.
Frauke Finsterwalder:
In meinem Film sieht man natürlich unterschiedliche realistische Milieus. Auch
das aneinander vorbei reden in den Dialogen ist sehr realistisch. Die
Formulierung „kein Realismus“ bezieht sich eher auf die Bildsprache und die
Hintergrundsituationen, wie etwa autofreie Straßen. Was beim Drehen unendlich
schwer herzustellen war, da die Auto-Lobby in Deutschland sehr stark ist und
man einfach nur sehr schwierig Straßen gesperrt bekommt. Oder menschenleere
Orte: eine Tankstelle, ohne andere Kunden, oder die KZ-Gedenkstätte, ohne
andere Besucher. „Finsterworld“ sollte einen Ort darstellen, an dem in
verdichteter Form sehr viel möglich ist.
Deutschland hat, was besonders auffällt, wenn man von
außerhalb darauf sieht, sehr unterschiedliche Facetten. Der katholische Süden,
der protestantische Norden, Ost, West und vieles mehr – diese Unterschiede
sollten im Film nicht zu sehen sein, sondern die Gemeinsamkeiten erfasst werden,
ohne sie einer Region zuzuordnen. Auch die Darsteller wurden entsprechend
ausgewählt, unter denen sich mit Jakub Gierszal (als Maximilian Sandberg) ein polnischer Schauspieler, mit Carla
Juri eine Italo-Schweizerin (als Natalie)
und Johannes Krisch (als Einsiedler)
ein Ur-Österreicher befinden – das war eine bewusst hergestellte Mischung.
Udo Rotenberg: Es
ging entsprechend um eine Zuspitzung der Realität? – Anders ausgedrückt,
beschäftigt sich der Film genau mit den Problemfeldern, die dem deutschen Film
gerne nachgesagt werden – klassische Stereotypen wie das saturierte, reiche
Ehepaar Sandberg (gespielt von Corinna
Harfouch und Bernhard Schütz), dass sich nur mit sich selbst beschäftigt,
und sowohl die Beziehung zu ihrem Sohn Maximilian, als auch zu der im
Altersheim lebenden Mutter des Mannes (Margit
Carstensen) vernachlässigt, oder der Lehrer (Christoph Bach), der versucht in dem ehemaligen KZ seinen Schülern
die deutsche Geschichte näher zu bringen, worauf diese nur gelangweilt
reagieren – ohne den Gestus eines sozialkritischen Films anzunehmen, sondern
sehr unterhaltend zu bleiben. War das so von Ihnen beabsichtigt?
Frauke Finsterwalder:
„Finsterworld“ ist der Versuch, einen Film über Deutschland zu drehen, der Spaß
macht, gleichzeitig aber auch irrsinnig schrecklich ist. Ich bin froh, dass es
aufgegangen ist. In Deutschland lachen die Zuschauer erstaunlich viel über den
Film, besonders über die Bemerkung, dass die Fahne so hässlich ist. Das denken
offensichtlich Viele, ohne es zu sagen. Im Ausland empfand man dagegen die
Tragik stärker, in Argentinien wurde sogar geweint.
Udo Rotenberg: Sie
riskieren es, am Ende nicht alles wieder gerade zu rücken, etwa in der Episode
um den Lehrer. Quasi ein Verstoß gegen die Regeln…
Frauke Finsterwalder:
Der in verschiedenen Ländern unterschiedlich wahrgenommen wird. In Kanada
reagierte man geradezu fassungslos darüber, dass das Böse gewinnen darf,
gleichzeitig empfand man es auch als gut, weil es für gegen die amerikanischen
Sehgewohnheiten ist. Argentinien ist dagegen noch stark von der nicht lange
zurückliegenden Zeit der Diktatur geprägt. Viele Täter wurden nie zur
Rechenschaft gezogen. Die Argentinier fanden den Film deshalb sehr echt.
Udo Rotenberg: Gab
es während der Filmentwicklung Episoden, die wieder herausgenommen wurden oder
später dazu kamen? – „Finsterworld“ deckt ja viele Bereiche ab.
Frauke Finsterwalder:
Der Film war von Beginn an so konzipiert. Hinzugefügt wurde nichts. Nur
eine schon abgedrehte Episode wurde wieder heraus geschnitten, die aber keine
entscheidende Funktion hatte.
Frage: Wollten
Sie mit Ihrem Film auch direkt Kritik üben?
Frauke Finsterwalder:
„Finsterworld“ beschäftigt sich natürlich auch mit dem neuen Selbstbild, das
sich in Deutschland immer mehr verbreitet – das es hier gerecht zugeht und
Deutschland die „bessere“ Demokratie hat. Vom Ausland aus betrachtet, stellt
sich diese Meinung ganz anders dar. Gleichzeitig mache ich mich auch lustig
darüber, dass ich selbst so deutsch bin und mich wieder so intensiv damit
auseinandersetze, weshalb es eine Befreiung war, den Film „Finsterworld“ zu
nennen (ein Titel, der ganz früh feststand). Es entstand eine eigene Welt, in
die ich alles, was aus meiner Sicht hinein gehört, hinein stecken konnte.
Udo Rotenberg: Diesen Zwiespalt im Deutschlandbild empfindet
man besonders am Ende des Films, das auch positive Aspekte vermittelt – etwa
wenn die alte Frau vor dem Haus des Fußpflegers steht. Der Moment, in dem das
Ehepaar die Mutter im Altersheim nicht mehr antrifft, ist es offen, ob sie noch
lebt – sollte diese Spannung bewusst entstehen?
Frauke Finsterwalder:
Die Figur des Fußpflegers Claude (Michael Maertens) sollte den Betrachter auch
mit der Frage konfrontieren, was normal ist und was nicht. Man kann sein
Verhalten natürlich ekelig finden, gleichzeitig ist er der sozialste Mensch im
Film.
Udo Rotenberg: Dem
gegenüber entsteht die Liebe Natalies (Carla
Juri) zu Maximilan (Jakub Gierszal)
unter verlogenen Voraussetzungen…
Frauke Finsterwalder:
Natalie wird von Maximilian gebrochen - für mich nach wie vor der Moment des
Films, den ich kaum ertragen kann.
Udo Rotenberg: Zum
Abschluss hätte ich gerne noch von Ihnen gewusst, was sie nach dieser
intensiven Beschäftigung mit Deutschland als nächstes planen.
Frauke Finsterwalder:
Auf jeden Fall wieder ein Spielfilm, aber kein Episodenfilm und nicht über
Deutschland. Sehr gerne wieder mit denselben Darstellern – ich fände es zudem
interessant, einzelne Figuren weiter zu betrachten. Aber am liebsten würde ich
einen richtigen Science-Fiction-Film drehen.
Interview mit Frauke Finsterwalder in Berlin am 17.09.2013, anlässlich ihres Films „Finsterworld“ (Kinostart 17.10.2013) Fragen und Aufzeichnung Udo Rotenberg, Dresden