Inhalt: Hunsrück
1842 - zunehmend sind die Bewohner der ländlichen Region nicht mehr bereit, die
tägliche Mühsal und die Repressalien ihrer Herrscher zu ertragen, weshalb sie
zu Hunderttausenden aus der preußischen Rheinprovinz auswandern. Als das
gelobte Land gilt für sie Brasilien, von dem auch Jakob Simon (Jan Dieter
Schneider) träumt, der jedes Buch, das er darüber finden kann, liest und daraus
die Sprache der Indios lernt. Sein Vater Johann (Rüdiger Kriese), Dorfschmied
und Bauer, hält nichts von den Flausen seines Sohnes, die ihn aus seiner Sicht
nur von der Arbeit abhalten, die für den kärglichen Broterwerb notwendig ist.
Als sein älterer Bruder Gustav (Maximilian Scheidt) vom Wehrdienst zurückkehrt, wird Jakob noch mehr damit konfrontiert, dass ihm der Sinn für das Praktische fehlt - nur seine Mutter Margarethe (Marita Breuer) verteidigt ihren Sohn. Und Jettchen (Antonia Bill), dass hübscheste Mädchen aus dem Nachbarort, ist fasziniert von Jakobs Wissen und der Begeisterung, mit der er über Brasilien erzählt. Doch bei einer Tanzveranstaltung muss der schüchterne Jakob mit ansehen, wie sein schneidigerer Bruder sich an Jettchen heranmacht, weshalb er aus Frust in die aufwieglerischen Rufe gegen den Baron einstimmt und im Gefängnis landet...
Als sein älterer Bruder Gustav (Maximilian Scheidt) vom Wehrdienst zurückkehrt, wird Jakob noch mehr damit konfrontiert, dass ihm der Sinn für das Praktische fehlt - nur seine Mutter Margarethe (Marita Breuer) verteidigt ihren Sohn. Und Jettchen (Antonia Bill), dass hübscheste Mädchen aus dem Nachbarort, ist fasziniert von Jakobs Wissen und der Begeisterung, mit der er über Brasilien erzählt. Doch bei einer Tanzveranstaltung muss der schüchterne Jakob mit ansehen, wie sein schneidigerer Bruder sich an Jettchen heranmacht, weshalb er aus Frust in die aufwieglerischen Rufe gegen den Baron einstimmt und im Gefängnis landet...
Ein knapp
vierstündiger Film über eine Familie, die im Jahr 1842 ihr Dasein in einem
kleinen Ort im Hunsrück fristet - das klingt nach einem zähen und wenig
unterhaltsamen Kinoabend. Auch die Figur des Protagonisten - ein junger,
literarisch Interessierter Mann inmitten einer bäuerlichen, nur an der
Bewältigung der täglichen Arbeit interessierten Umgebung - aus dessen
Blickwinkel heraus die Geschichte erzählt wird, ist kein unbedingt origineller
Ansatz. Dessen Schicksal lässt sich leicht vorhersagen - vom strengen, durch
den ständigen Überlebenskampf verbitterten Vater (Rüdiger Kriese) drangsaliert
und vom älteren, tüchtigeren Bruder (Maximilian Scheidt) in den Schatten
gestellt, der ihm auch Jettchen (Antonia Bill), das hübscheste Mädchen der
Umgebung, wegnimmt, sucht er Ablenkung in seinen Büchern und träumt von fernen
Gestaden. Einzig die von der täglichen Mühsal zunehmend gezeichnete Mutter
(Marita Breuer) hat Verständnis für ihren gebildeten und sensiblen Jüngsten.
Die äußeren
Umstände, unter denen die Dreharbeiten stattfanden, scheinen dieses Bild einer
am neorealistischen Stil orientierten Dokumentation eines armseligen Lebens
noch zu verdichten, das in keinem größeren Gegensatz zur aufgeregten, bunten
und ständig nach Abwechslung schreienden Gegenwart stehen könnte. Neben einer
bis ins Detail nachempfundenen Authentizität - die Darsteller sprechen im nicht
immer leicht verständlichen Dialekt der Region - entschieden sich Regisseur
Edgar Reitz und sein Kameramann Gernot Roll, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen,
nutzten die Digitaltechnik aber für selten eingestreute farbig gezeigte Details
- nicht als Gimmick, sondern in einer die Realität noch unterstützenden
Wirkung. Die Entscheidung gegen farbige Bilder war konsequent, denn sie hätten
der dünn besiedelten Landschaft automatisch einen pittoresken Anschein
verliehen, der nicht zu der Lebenssituation der Menschen gepasst hätte, die
zunehmend jedes Vertrauen in ihre Zukunft verloren haben, weshalb
Hunderttausende von ihnen beschließen ihre Heimat zu verlassen, um nach
Brasilien auszuwandern.
Brasilien -
damit fällt schon früh im Film das entscheidende Stichwort, dass dem Film eine
andere Richtung gibt, als die äußeren Parameter erwarten lassen. Brasilien
steht hier nicht nur für eine weit entfernt scheinende Sehnsucht - Jakob Simon
(Jan Dieter Schneider) liest alles, was er über das Land erfahren kann und
lernt aus den Büchern die Sprache der Indios - sondern wird für viele Menschen
zu einer realen Alternative, obwohl es nur wenige, zudem idealisierte
Informationen über die Lebenssituation dort gibt. Doch das spielt letztlich
keine Rolle, angesichts einer Heimat, die ihre Bewohner im Stich lässt. Es wird
deutlich, warum Reitz die Zeit benötigt, den Betrachter vollends in eine
deutsche Realität eintauchen zu lassen, die erst 170 Jahre zurückliegt und
deren Auswirkungen heute fast vollständig in Vergessenheit geraten sind.
Dank des
überzeugenden Spiels der Darsteller, dem zeitgemäßen Tempo und dem detailliert
gezeigten, überschaubaren Umfeld entfaltet sich ein Leben vor dem Betrachter,
dass sich den typischen Klischees entzieht, denn keine romantischen
Verwicklungen oder überbordenden Ideen bestimmen das Geschehen, sondern die
Jahreszeiten, die tägliche Arbeit und der allgegenwärtige Tod - voraussehbar
und planbar war kaum etwas. Reitz gelingt es ein Gleichgewicht zwischen der
Liebe zur Heimat, den Momenten des Glücks in der Gemeinschaft und der täglichen
Mühsal darzustellen, dass zunehmend von willkürlichen Gesetzgebungen, langen
Wintern und mangelnder Arbeit aus dem Gleichgewicht gebracht wird, weshalb sich
stark verwurzelte Menschen dazu entschieden, ihre Heimat zu verlassen - Mitte
des vorletzten Jahrhunderts war Deutschland (hier am Beispiel der preußischen
Rheinprovinz) ein Auswanderungsland.
Die Länge
der Laufzeit ist notwendig - der Betrachter sollte den Film möglichst ohne
Unterbrechung sehen - um das damalige Lebensgefühl nachempfinden zu können und
einen Begriff von "Heimat" jenseits reaktionärer Schönfärberei zu
bekommen, die zu verlassen einen schweren Verlust für Jeden bedeutete - für die
Emigranten, wie für die Zurückgebliebenen – eine Entscheidung, die als Folge
lang anhaltender Hoffnungslosigkeit, gepaart mit einer illusionären
Erwartungshaltung an ein gelobtes Land, getroffen wurde. Edgar Reitz verfolgte mit
seinem Film zwei Ziele - einerseits wollte er eine nicht lang zurückliegende
Vergangenheit wieder in Erinnerung rufen, andererseits damit auch ein Verstehen
für die Situation der heutigen Emigranten nach Deutschland erzeugen. Diese
unterschwellige Intention spielt sicherlich ein Rolle, aber die entscheidende
Wirkung des Films liegt darin, dass ihm das gelingt, wofür Kino steht – das
Eintauchen in eine Welt, die nur im ersten Moment fremdartig wirkt.
"Die andere Heimat" Deutschland 2013, Regie: Edgar Reitz, Drehbuch: Edgar Reitz, Gerd Heidenreich, Darsteller : Jan Dieter Schneider, Antonia Bill, Maximilian Scheidt, Marita Breuer, Rüdiger Kriese, Laufzeit : 230 Minuten